Thursday, April 18, 2013

Immer wieder schön ist es, ...

... über Schweden in deutschen Zeitung (hier SZ) zu lesen. Hier jetzt also die paradiesischen Zustände in schwedischen Kindergärten.

Von schwedischen Kindergärten lernen


Allerdings lässt der Artikel einige Informationen aus. So sind die "Rund-um-die-Uhr"-Kindergärten vor allem für Eltern gedacht, die oft auch abends oder am Wochenende arbeiten müssen und dazu eventuell "alleinerziehend" sind. Diese Art der Kindergärten ist bei Weitem nicht die Regel und wenn ich ganz richtig informiert bin, auch erst eine relativ neue Idee. Das ändert aber an der Gesamtzahl an Betreuungsstunden pro Woche wenig (max. 40). Da in Schweden die Ehefrauen nicht automatisch über ihre Männer mitversorgt sind (z.B. gibt es auch kein Ehegattensplitting), ist der Bedarf für die Frauen zu arbeiten seit langem zwingender gegeben als es noch bis vor Kurzem in Deutschland der Fall war. Außerdem entsprach dies ohnehin mehr dem sozialistischen, feministischen Weltbild, dass Schweden so lange beherrschte.

Die im Artikel genannte Gemeinde Nacka liegt im Süden Stockholms und kann getrost als eine der bessergestellten Kommunen bezeichnet werden. Will heißen, dass dort mehrheitlich ohnehin eher einkommens- und bildungsstarke Familien wohnen, die qualitativ hochwertigen Betreuungsangeboten "erwarten" werden. Wer sich da als Politiker beliebt machen (sprich wiedergewählt) werden will, sorgt besser für gut funktionierende Kindergärten. Anders sieht es zum Beispiel in unserer Kommune aus, wo sich gerade massiver Widerstand gegen die verdeckten Einsparungen im Bildungsbereich zu formatieren beginnt. Hier werden vor allem die wachsenden Gruppengrößen, Verkürzung von Betreuungszeiten von Kindern mit einem Elternteil in Elternzeit sowie die mangelnde Aufrüstung / Instandhaltung der Kindergärten bemängelt. Tatsächlich hat sich auch in unserem privat geführten Kindergarten eine Vergrößerung der Gruppen nicht vermeiden lassen. Mich ärgert das nicht nur wegen meiner Kindern, es ist auch eine maßgebliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für die von mir sehr geschätzten Pädagogen, die ich auf Dauer für nicht akzeptabel halte.

Generell kann man glaube ich aber behaupten, dass schwedische Kindergärten oft weniger pompös ausgestattet sind, als deutsche. Also zumindest, wenn ich das mit den neuen Einrichtungen in meiner Heimatregion vergleiche. Da stehen ganze Abendteuerspielplätze vor der Tür, während bei uns z.B. "nur" zwei Wippen, eine riesige Sandkiste (mit entsprechend Spielzeug) und einem bewaldeten Mini-Hügelchen zur Verfügung stehen (selbst das ist eigentlich schon euphemistisch ausgedrückt). Okay, es gibt auch noch die Pflanzkästen und  die "Snickerboa" (Tischlerschuppen). Es werden regelmäßig viele Ausflüge gemacht, sei es in Museen, Bibliotheken, Parks oder auch mal ins Theater, eigentlich sind ständig irgendwelche Projekte in Gang (aktuell: elektrische Gerätefür die Großen) und die Räumlichkeiten werden immer (mit einfachen Mitteln) den Interessen der jeweiligen Gruppe angepasst.

Auch bei uns schlafen die Kinder im Freien (in ihren Kinderwagen). Auch im Winter, was ich mit Schneeanzug und dickem Fusssack auch bei Minusgraden nicht als problematisch empfinde. Es sorgt auch nicht für mehr Krankheitsfälle. Rollt die Grippewelle über Schweden hinweg, dann rollt sie auch über die Kinder hinweg, aber ansonsten ist meist Ruhe. Es stimmt aber, dass die Regelungen bezüglich Brandsicherheit und Hygiene und etlichem anderen wohl eher "praxisnäher" sind, als in Deutschland. Vor einem Jahr gab es mal eine Fernsehsendung bezüglich der Sicherheit in KIndergärten, da ging es aber vornehmlich um allgemeine Unfallgefahr beim Spielen und die Beaufsichtigung. So richtig einen Skandal hat dies meines Wissens nach nicht ausgelöst, bisher gab es da auch keinen Grund. Man liest nur sehr vereinzelt von schlimmeren Unfällen o.ä. in Kindergärten. Allerdings gibt es eine recht rigorose Qualitätskontrolle, in unserem speziellen Fall durch die Kommune (Fragebögen an die Eltern, aber auch Kontrollen im Kindergarten direkt) sowie Kontrollen und Umfragen durch den Träger selbst.

Interessant sind natürlich auch wieder die Reaktionen der deutschen Leser und schön, dass viele sich mal wieder beschweren, dass Eltern ihre Kinder abschieben wollen. Hin und wieder ist dieses Argument selbst hier in Schweden zu hören und zu lesen. Seufz. Es gibt da einen schönen Spruch, den ich gerne zitiere:

 "Es braucht ein ganzes Dorf, um EIN Kind zu erziehen."

Nach meinen eigenen Erfahrungen ist dieser Satz wahr, was nicht zuletzt an der Neugier, dem Entdeckungseifer, dem Bedürfnis nach Welt- und Lebenserfahrung kleiner Kinder liegt. So, und jetzt sollen mir doch endlich mal einer erklären, wo ich heute ein ganzes Dorf, oder auch nur eine Großfamilie herbekomme, die dieses eine Kind erzieht. Wo sind die Nachbarn, die Nachbarskinder, die Onkels, Cousinen und anderen Bezugspersonen, die Kinder bräuchten, denn heute noch jeden Tag von 8 bis 16 Uhr in wechselnder Folge verfügbar? 365 Tage im Jahr. Welche Väter arbeiten noch so nah am eigenen Zuhause, dass sie automatisch (und ohne Elternzeit z.B.) tagsüber das Kind miterziehen können. Welches Dorf fühlt sich denn heute noch für die Kinder anderer Leute zuständig? In Deutschland mag es das hier und da in Ausnahmefällen sogar noch geben, aber selbst da muss man doch suchen. Ist eigentlich allgemein bekannt, wie ätzend es Kinder finden, einen ganzen Tag in einer (recht kleinen) Wohnung eingesperrt zu sein, weil der einzige verfügbare Erwachsene (=die Betreuungsperson) eben doch mal putzen, waschen, Essen kochen muss und gleichzeitig versucht mit den Kindern zu malen, spielen, klettern, basteln. Man kann die Kinder dank Autos, Zügen und Bussen nicht einfach auf die Straße laufen lassen, unser Garten ist im Moment z.B. nicht mal eingezäunt, sodass mir selbst für die Älteren das Risiko eigentlich zu groß ist.  Im Kindergarten werden einfach auch Sachen gemacht, in denen ich furchtbar schlecht bin. Der Kindergarten ergänzt das, was ich meinen Kindern mitgeben will in ihren ersten Lebensjahren. Er ist ein erster, noch sehr geschützter, erweiterter Erfahrungshorizont für meine Kinder, ein zweiter Ort, an dem sie sich wohlfühlen und entfalten können. Mit "Abschieben" hat das überhaupt nichts zu tun, auch wenn meine Kinder schon mit 18 Monaten im Kindergarten anfingen. Trotzdem bin ich ihre Mutter und ich scheue mich nicht, diese Rolle voll und ganz wahrzunehmen, und das 24/7 bis ans Ende meines Lebens selbstredend. Auf manch anderes könnte ich dagegen gerne verzichten, aber das erlaubt mir unsere westeuropäische Lebensart nun einmal nicht.

Zu guter Letzt: Wäre es denn im Sinn der sich so äußernden Mitmenschen gewesen, wenn ich mich als Frau, die sich darüber bewusst war, dass sie ihre Kinder eben nicht im Alleingang mit einem hart arbeitenden Mann  erziehen würde können, lieber gewesen, ich hätte gar keine Kinder bekommen?

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